Nur noch gute Arbeit? Das Verschwinden der Realität der Arbeitenden aus der Fotografie der Gegenwart

Seit einiger Zeit gibt es ein neues Phänomen. Nur „Gute Arbeit“ wird in Deutschland fotografisch noch gezeigt oder es wird gezielt Propaganda betrieben.

2011 gab es in Barzelona eine Ausstellung, die sich mit dem Entstehen der Arbeiterfotografie-Bewegung von 1926 bis 1939 beschäftigt hat.

Die Ausstellung wird wegen ihrer Tiefe und Breite sehr gelobt. In einem Aufsatz dazu fand ich einen Hinweis.

Dort heisst es „self-representation by the working class became a form of social emancipation“, auf deutsch wurde die Selbstdarstellung der Arbeiterklasse zu einer Form der gesellschaftlichen Emanzipation.

Die Fotos aus der Ausstellung kann man ergänzen mit Beispielen aus Deutschland aus der damaligen Zeit.

Wenn es so ist, dann ist das heutige Verschwinden der Selbstdarstellung entweder ein Beleg dafür, dass es keine Arbeiterklasse mehr gibt oder ein Beleg dafür, daß diese Menschen sich nicht mehr ins Licht trauen. Selbstdarstellung setzt ja voraus, dass man sich selbst als Teil von etwas darstellen will.

Das „Wir“, der „proletarische Lebenszusammenhang“ (R. Stumberger), zeigte sich in der gemeinsamen Wohnwelt, Arbeitswelt und Sozialwelt.

Wenn man diese gemeinsamen Erfahrungen nicht mehr macht und teilt und sich auch keiner Klasse zugehörig fühlt, dann ist das soziale Bewusstsein weg und die Suche nach anderen Zugehörigkeitsobjekten und Identifikationsmöglichkeiten beginnt.

Dabei darf man aber nicht die Arbeiterklasse mit Randgruppen verwechseln. Das Fotografieren von Randgruppen und die Arbeiterfotografie sind völlig verschiedene Dinge und die politische Dimension der Arbeiterfotografie war medial in der Weimarer Republik und in Deutschland in den 70er Jahren eine starke Kraft, die das Medium Fotografie zur Selbstreflexion und als Mittel im sozialen Kampf einsetzte.

Man kann natürlich auch sagen, dass heute jeder in sozialen Netzwerken sich fotografisch selbst darstellen kann und daher eine Zugehörigkeit kraft Klasse nicht mehr erforderlich sei. Allerdings sind die sozialen Bedingungen nicht weg, die die Arbeiterklasse hervorgebracht haben. Soziale Atomisierung blockiert aber und „soziale“ Netzwerke verbinden nicht.

Der Hunger bei uns ist aktuell besiegt aber schlechte Arbeit und vieles mehr sind immer noch da.

Nur ist die Arbeiterklasse an sich ja auch in der Demokratie mit dem wachsenden Wohlstand zerflossen, weil sie letztlich über die materiellen Erfolgselemente nicht hinauskam.

Eine Arbeitnehmerklasse 2.0 als Antwort auf die neuen Herausforderungen des 21. Jhrdts. mit zunehmender Zerklüftung der Arbeit, schlechter Arbeit, unsicheren Arbeitsverhältnissen, lebenslangem Hartz 4 Niveau und vielem mehr wird nicht als Herausforderung begriffen, so daß der Zusammenhalt als gemeinsamer Interessenpool nicht existiert sondern lediglich nach soziologischen Kriterien Schichten definiert werden können.

Öffentliches Bewußtsein

Was in den Medien präsent ist, ist repräsentativ für unser Denken über die Gesellschaft.

Die digitale Welt hat es bisher nicht geschafft, die Aufklärung weiter zu verbreiten in unserem Land.

Wer will, kann heute mehr erfahren, aber es wollen deshalb nicht unbedingt mehr Menschen davon Gebrauch machen.

Wissen ist anstrengend, es zu verbergen noch viel mehr und in einem Land, in dem Bildung durch Gesetze sogar rentenrechtlich abgestraft wird, ist Bildung ein Hindernis.

Das soll hier aber kein politischer Artikel werden sondern ein Hinweis, der erklärt, warum wir fotografisch in dem hier diskutierten Sinne ein gesichtsloses Land geworden sind.

Wenn die fotografischen Themen, die öffentlich präsent sind, ein Hinweis auf soziale Veränderungen sind, dann ist das Fehlen der Arbeitnehmer und der Realität ihrer Arbeit und Lebensumstände im Mainstream fotografischer Themen in Deutschland ein Hinweis, der eine Menge aussagt.

Er könnte auch aussagen, daß die Gesichtslosgkeit der Arbeitnehmer die Gesichtslosigkeit der Gesellschaft zeigt.

Typisch Deutsch?

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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