Eine Stadt auf Fotopapier

eine_stadt_auf_fotopapier_cover

„Letztlich können wir damit auch Leben und Leistung der Familie Püscher würdigen. Denn sie haben sich Zeit ihres Lebens neben der Photographie nichts gegönnt. Beim Sohn Eberhard haben Zeit und Geld nicht einmal für eine Familie oder Freundin gereicht. Er starb einsam, verarmt und hinterließ neben seinen Aufnahmen nur Schulden.“

So das nüchterne Resumee von Simon Schwinge.

Aber nun liegt es vor uns, das Buch aus dem Fruehwerk-Verlag über Alfeld (Leine).

Dort fotografierten Vater und Sohn und begleiteten als fotografische Chronisten das Alltagsleben der Menschen.

Aber dann?

Dann war es reiner Zufall, daß die Fotos nach dem Tod des Sohnes nicht auf dem Müll landeten. Und dann brauchte es viele Jahre bis sich Menschen fanden, die sich damit beschäftigten. Und auch dies war so mühsam wie die ganze Geschichte.

Annett Gröschner und Simon Schwinge haben dies alles nun als Buch herausgegeben und damit einen echten Beitrag zur Alltagsgeschichte von Alfeld und zur Dokumentarfotografie vor Ort geleistet.

Das Buch erinnert mich an meine Jugend. Die Aufzüge der Vereine, die geschmückten Girlanden vor den Häusern, das Milieu der Nachbarschaften. Es ist alles zu sehen, was in Alfeld und auch woanders so gewesen ist.

Aber Alfeld hatte die Püschers, die dies alles fotografierten.

Dazu gibt es auch eine Webseite aber vor allem auch dieses Buch. Es ist in jeder Hinsicht gelungen und zeigt durch das interessante Hochkantformat, wie man auch Fotos präsentieren kann, wenn man große und kleine Fotos kombinieren will.

Die Fotos haben Erinnerungswert, weil sie entweder Alltag zeigen, der überall hätte sein können oder konkret die Alfelder Familien. So entsteht das Album einer Stadt, die so war wie viele. Alfeld ist überall hätte man damals sagen können.

Zugleich ist dies aber auch die Geschichte der verlorenen Geschichte und ihrer vergessenen Chronisten.

Allerdings zeigt das Buch auch durch seine Existenz, wie sich dies doch auch ändern kann.

Das ist die andere Seite. Geschichte als Gedächtnisarbeit und fotografische Dokumentation. Es ist eine andere Art der Geschichtsschreibung im lokalen Raum, abseits der Politik und doch mittendrin.

Aber es zeigt auch die persönliche Tragödie, wenn man sieht wie die Fotografen endeten.

Dies scheint das Schicksal vieler Fotografen zu sein. Hier ist es dokumentiert. Das Buch ist wirklich interessant und es ist ein gelungenes Beispiel für die Aufarbeitung lokaler Fotografie durch die Autoren.

Die Sammlung Püscher in Alfeld (Leine)

Gedächtnis und Dokumentation des Nachlasses der Fotografenfamilie Püscher in Alfeld (Leine)

Die Stadt Alfeld an der Leine in Niedersachsen besitzt etwas, das sie vor anderen deutschen Städten auszeichnet:

Eine nahezu lückenlose Dokumentation ihres Alltags. Der Nachlass zweier Fotografen – Vater und Sohn, Richard und Eberhard Püscher – umfasst die Zeit von 1947 bis in die 1990er Jahre. Das gesamte Leben einer Stadt und ihres Umlandes mit ihren Ritualen, Feiern und Ereignissen wird dokumentiert – visuelle Chronik und Gedächtnis, weit über die Grenzen Niedersachsens hinaus. Es scheint, als könne man die Zeit zwischen den Nachkriegs-, Wirtschaftswunder und Wiedervereinigungsjahren lückenlos rekonstruieren, wenn man nur alle Bilder der beiden Fotografen nebeneinander legen würde. Sie erzählen beispielhaft die Geschichte jener fünf Jahrzehnte im Westen Deutschlands, für die sich heute der Begriff der „alten Bundesrepublik“ durchgesetzt hat. „Eine Stadt auf Fotopapier“ ist eine kommentierte Bestandsaufnahme, die erstmals Einblick in die Sammlung Püscher gewährt und dabei auch versucht, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie wir wurden, wer wir heute sind.

Autoren
Hans-Martin Buttler und Familie, Annett Gröschner, Mona Heiler, Melanie Huber, Lena Müller, Gisela Parak, Simon Schwinge

Herausgegeben von
Annett Gröschner und Simon Schwinge

Format: 18 ° 32 cm, 144 Seiten,
s/w und 4farbig, Schweizer Broschur
978-3-941295-12-4

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/