Henri Cartier-Bresson – neue Blicke auf den entscheidenden Moment

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Centre Pompidou Cartier-Bresson

Zehn Jahre nach seinem Tod fand eine große Fotoausstellung über Henri Cartier-Bresson in Paris statt.

Er war der „Forrest Gump der Fotografie“ schreibt Sascha Lehnartz über Henri Cartier-Bresson. Da fragt man sich in welchem Film Sascha Lehnartz war als er dies schrieb.

Und dann der Vergleich mit Martin Parr!

Wie kommt Lehnartz da drauf? Weil sich in den Ausstellungskatalog ein Foto von Parr verirrt hat, das da weder hingehört noch Sinn macht – noch tiefer erklärt wird? Vielleicht ist es eine besondere PR-Aktion.

Erwartet hätte ich einen anderen Artikel, der substanzieller ist wie der von Christian Hain. Dort erfahren wir, daß in Paris teilweise zeitgleich eine Ausstellung von Parr an anderer Stelle war als die Ausstellung von Cartier-Bresson im Centre Pompidou stattfand. Aber das erklärt auch nicht das unerklärliche Foto in dem Katalog.

Martin Parr macht großartige dokumentierende Fotos und ist in meinen Augen ein Chronist des Zeitgeistes dort, wo er tätig ist. Aber das ist einfach ein anderes Thema und paßt so nicht hierhin.

Doch das war nur der Einstieg.

Viel interessanter ist die Frage, wie man Cartier-Bresson nach seinem Tod journalistisch ummünzen will.

Nun betont man ihn anders und aus Cartier-Bresson wurde ein Kommunist oder auch ein Anarchist und seine Art zu fotografieren war dann mal politisch und mal unpolitisch.

Die Idee des gemeinsamen Gewinns bei Magnum hat ja offenkundig dazu geführt, daß über viele Jahre gemeinsam gute Produkte und Gewinne erzielt werden konnten.

Ist das Kommunismus?

In einem Film sagt Cartier-Bresson, er sei im Grunde Anarchist. Ist er deshalb ein Anarchist – und wenn, was bedeutet das eigentlich? Leben ohne Chef und ohne Staat? Leben mit dem Anspruch auf Freiheit? Leben ohne neoliberale Ideologie, die dazu führt, daß wir immer mehr nur noch die Selbstzerstörung unserer Wachstumsgesellschaft fotografisch dokumentieren können? Und was heißt das überhaupt?

Die Nazis, die Deutschen, haben viele Freunde von Cartier-Bresson in Frankreich brutal ermordet. Deutschland war eher ein Land mit noch zu vielen Nazis nach 1945 und nicht das Land der Hoffnung auf eine gute Demokratie. Und wir reden heute über Begriffe, die damals mit ganz anderen Inhalten gefüllt waren? War er links, wenn er die Armut fotografierte? Sind wir heute links, wenn wir Arme fotografieren und rechts, wenn wir Reiche fotografieren?

Was nun?

Ich finde, es sind gute Fragen, die mir bis jetzt niemand beantwortet hat.

Und Cartier-Bresson können wir nicht mehr fragen.

Kehren wir zurück zum fotografischen Kern.

Erich Lessing sagte einmal dazu in einem Interview:

Die WELT: Gibt es einen Fotografen, den Sie als Ihr Vorbild bezeichnen?

Lessing: Nein. Wir haben alle unter den strikten Regeln von Henri Cartier-Bresson gelitten. Wenn Henri sich ein Foto angeschaut und geprüft hat, ob die Komposition des Bildes stimmt, haben wir immer ein Donnerwetter befürchtet. Disziplin haben wir von Cartier-Bresson gelernt. Allerdings ist seine anspruchsvolle Art der Fotografie heute nicht mehr gefragt: durch die bewusste Dekomposition, durch das bewusste Ausufern, die Ablehnung starrer Linien. Im Grunde haben wir Henris Regeln schon selbst nicht mehr befolgt. Trotzdem ist Cartier-Bresson für die Zeit zwischen 1950 und in die achtziger Jahre hinein der wichtigste Lehrer aller Fotografen gewesen.“

Und alle haben dabei gut verdient soweit ich weiß.

Zehn Jahre nach seinem Tod 2004 gab es die Ausstellung im Centre Pompidou.

Und dort entdeckte man ihn neu – sagt man.

Es gab zwar schon 2010 die Ausstellung „The Modern Century“ in New York aber eben nicht in seinem Heimatland und an dem Ort, an dem er wohnte.

Der Streifzug durch die Berichte über die Ausstellung 2014 in Paris ist sehr lehrreich.

Tausend Besucher tausend Meinungen.

Ein deutschsprachiger Filmbeitrag ist online zu sehen.

Wer nur deutsch kann, weiß weniger, weil die hochdotierten deutschen Medien eben lieber über anderes berichten.

Deutscher Journalismus bleibt vielleicht zu oft bei Forrest Gump stehen, statt sich an seinem läuferischen Talent journalistisch ein Beispiel zu nehmen.

Die englischsprachigen Berichte sind aber insgesamt ergiebiger.

Nathalie Aubert  sieht in dieser Ausstellung ein Zeugnis für die visuelle Antropologie in der Fotografie von Cartier-Bresson.

Adrian Hamilton beschreibt in seiner Kritik der Ausstellung den Weg von Cartier-Bresson und diskutiert die Frage der kunstlosen Kunst – artless art.

Christiana Spens geht mit uns durch die Ausstellung und durch das Leben von Cartier-Bresson.

 Und das viewfinder-center zeigt uns mit schönen Fotos Eindrücke rund um die Ausstellung.

Und zum Abschluß kann man noch ein paar Blicke auf das große Buch Here and Now aus Anlaß dieser Ausstellung werfen als Text oder als Video.

Und wer in die Zeit vor der Ausstellung blicken will, dem seien folgende Verlinkungen empfohlen:

Paula Weideger schrieb schon 1993 einen Artikel über Carter-Bresson und sein Ego, der eigentlich alles enthält, was man heute neu entdeckt.

Und Ishua Patel schilderte schon vor Jahren beeindruckend wie Cartier-Bresson arbeitete – vor dem Benutzen der Kamera.

So sind Blicke auf die Rezeption der Ausstellung mindestens so interessant wie die Ausstellung selbst, weil sie viel über journalistische Tiefe, Kompetenz, Selbsteinschätzung, Anspruch und Wirklichkeit und die Grenzen einer Sprache aussagen.

Und sie zeigen die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie und ihre Instrumentalisierung.

Das Buch enthält viele Reproduktionen und die sind so wie die Vorlagen. Man sieht hier dann auch Fotos, die es ermöglichen, die Fokussierung zu sehen und das Gegenteil, das sind die unscharfen Bereiche auf einem Foto.

So sieht man, daß viele Fotos nicht „perfekt“ sind.

Das ist kein Fehler sondern zeigt die Wirklichkeit des Fotografierens im Vollformat bzw. im Kleinbildformat bei lichtstarken Optiken. Aus heutiger Sicht wäre da die Schärfentiefe einer kleinen Kompaktkamera manchmal besser gewesen – aber die gab es damals noch nicht.

Zusätzlich gibt es einen kleinen Ausstellungskatalog.

Nun müßte nur noch mehr in seinem Sinne fotografiert werden oder pure Fineart-Streetphotography, damit wir unserer Welt wieder einen Rahmen geben.

Bis dann!

Text 1.1

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/