Fotografische Spuren des mentalen Kapitalismus im öffentlichen Raum

Wissen Sie, was mentaler Kapitalismus ist?

Lesen Sie einfach diese kurzen Worte:

„Die Omnipräsenz der Werbung wäre keine, wenn die Präsentation sich nur in den technischen Medien breit machen würde. Besonders auffällig und erklärungsbedürftig ist aber, daß Erlebnisräume wie der öffentliche Stadtraum, die Gebietskulisse entlang der Verkehrsadern und immer mehr die freie Landschaft herangezogen werden. Diese Räume sind inbegrifflich öffentliche Güter. Erstens gehören sie – in ihrer Eigenschaft als erlebter Umraum und unwillkürlich erlebte Umgebung – allen. Zweitens sind sie öffentliche Güter in dem (terminologischen) Sinn, daß ihr individueller Genuß den anderen nichts wegnimmt. Der Stadtraum und die freie Landschaft haben diesen öffentlichen, kommunen Charakter auch dann, wenn die Häuser und Grundstücke in Privateigentum sind. Ihre Eigenschaft als öffentliche Güter ist, worum der ästhetische Umweltschutz – das Baugenehmigungswesen, der Denkmal- und Landschaftsschutz – sich kümmern. In eben dieser Eigenschaft werden die Räume nun privatisiert. Sie werden mit Schautafeln und Anlagen für den Blickfang gespickt, sie werden zu Medien für die Werbung umgestaltet. Für die Nutzung als Werbeträger wird teuer bezahlt – und zwar sowohl von denen, die Werbung treiben, als auch von denen, die unter der Verunstaltung leiden. Die Privatisierung der öffentlichen Erlebnisräume besteht darin, daß sowohl der Nutzen wie auch die Kosten der medialen Nutzung privat anfallen.“

Diese Worte sind von Georg Franck aus einem Vortrag in Lech im Jahre 2002.

Er ist Professor für digitale Methoden in Architektur und Raumplanung an der Universität Wien.

Stimmt das was Franck sagt?

Um das herauszufinden gehen wir doch mal nach Remscheid, der Kleinstadt auf dem Berge.

Vor zwanzig Jahren waren Plakate und Litfaßsäulen in Remscheid fast völlig verschwunden.

Und nun sind sie überall.

Werbung statt Wald, Beton statt Bäume.

Und deshalb will ich das erwähnen.

Denn der öffentliche Raum ist eigentlich der soziale Lebens- bzw. Erlebensraum für die Menschen. Dort soll es Parkanlagen, freie und schöne Anblicke, Treffpunkte, Rückzugsmöglichkeiten und vieles mehr geben. Denn die meisten Wohnungen sind weder als Treffpunkte noch als erholsamer Lebensraum geeignet. Daher ist der öffentliche Raum die Ausgleichs- und Kontaktfläche. Und dieser wird nun privatisiert funktionalisiert, fast schon systematisch ausgerottet.

Genau so wie von Georg Franck in seinem Vortrag aufgezeigt.

Eines der wesentlichen Merkmale des neuen öffentlichen Raumes in Remscheid sind dabei die Zumutungen für die Menschen, die unter dieser Verunstaltung leiden müssen.

Viele merken es nicht (mehr). Insofern können diese Sätze hier erhellend sein.

Besonders sichtbar wird dies im Bild Shrek.

Ich denke dabei eher an “Schreck lass nach.”

Es ist die absolute Manifestation dieser Situation.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Doch dies ist nur ein Beispiel.

Die Werbung durchdringt jeden Fleck, auch den Marktplatz.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Dies ist nun überall und an jeder Ecke.

Wo die Augen auch hinwandern, sie müssen diese Anblicke ertragen.

Der Anblick der Natur verschwindet. Natur wirkt unnatürlich und so tut man alles, um uns die Natur zu ersparen.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Mentale Zumutungen der Bewohner sind das Ergebnis, die Umgestaltung nach privatwirtschaftlichen Kriterien ist die Folge, so daß es weder Parks noch Rückzugsflächen noch verschönernde Anblicke im Stadtbild (welch ein Wort!) gibt.

Ich habe einige der Fotos ins Wupperartmuseum gestellt, weil sie Museumswert haben als gestaltete Elemente unserer Zeit.

Doch der mentale Kapitalismus ist schlau. Und als ob dies nicht schon Zumutung genug sei, hat man sich in Remscheid in Verwaltung und Politik entschlossen noch was drauf zu setzen.

Man hat tatsächlich ein Nazisymbol genommen und macht damit nun auch noch systematisch und an visuell wichtigen Ecken Werbung.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

So schlägt die Wirklichkeit jede Phantasie und die Satire ergibt sich von selbst. Man muß nur aufschreiben, was man sieht.

Übrigens – nichts gegen Werbung.

Aber hier und so nicht!

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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