Tracking Time von Camilo Jose Vergara oder die Zersetzung sozialer Strukturen im Stadtbild

vergarax

„Camilo José Vergara
Tracking Time: Documenting America’s Post-Industrial Cities
Die Publikation widmet sich dem amerikanischen Fotografen Camilo José Vergara. Seit über 40 Jahren dokumentiert er die Spannung in den von Armut gekennzeichneten Problemvierteln amerikanischer Metropolen. Seine Fotografien berichten von dem städtischen Wandel, den Symptomen sozialer Konflikte und machen das Auseinanderdriften der amerikanischen Gesellschaft erfahrbar. Als visueller Spurenleser, fotografischer Soziologe, Ethnograf und Stadtforscher hat er ein einzigartiges Archiv amerikanischer (Stadt-)Geschichte geschaffen, welches die Veränderung und Auflösung von Stadtteilgemeinschaften belegt.“

So schreibt es der Verlag.

Ich bin auf dieses Buch gestoßen weil ich etwas Vergleichbares zu meinem früheren Projekt bergischer.bildermonat.de gesucht habe.

Während ich drei Jahre lang am Stück die Veränderungen im öffentlichen Raum festgehalten habe, hat Camilo Jose Vergara dies mit gewissen zeitlichen Abständen getan.

  • Interessant ist, daß wir beide im öffentlichen Raum fotografiert haben und die sozialen Zusammenhänge dabei zeigen wollten.
  • Bemerkenswert ist, daß wir beide als Vorbild Henri Cartier-Bresson angeben.
  • Unterschiedlich ist, daß er an vielen Orten war, während ich mich auf das Bergische Land konzentriert habe und der Schwerpunkt in Remscheid lag.

Vergara will wissen, was in den desolaten Ecken des urbanen Amerikas passiert.

Für ihn sind anonyme Sprayer, die mit wirklich guten Bildern häßliche Ecken bemalen, kreative Köpfe, die aktiv an ihrer Umwelt interessiert sind.

Ein interessanter Gedanke.

Ich wollte wissen, wie sich Veränderungen in einer Stadt darstellen, deren wachsende zentrale Themen Armut, Asyl und fehlende Arbeit sind.

Wenn man dies fotografisch festhalten will im öffentlichen Raum, dann gehören dazu fotografische Beharrlichkeit, Beschränkung, Geduld und Zeit, weil Veränderungen nur in den Kategorien Raum und Zeit sichtbar werden können.

Das hier gezeigte Buch von Vergara ist zu einer Ausstellung in Hannover erschienen.

Während dies bei ihm eine Retrospektive auf sein Werk zu sein scheint, ist es bei mir eine Retrospektive auf das, was ich vorher weder gesehen noch geahnt habe.

Und da finde ich den Gedanken von Anne Whiston Spirn sehr gut, auf den Vergara verweist: Denn Fotografie kann wie eine Landkarte (landscape) Prozesse und Interaktionen zeigen und die Struktur von Ideen.

Letztlich führt dies auch zu einem neuen Kunstverständnis, das rein digital strukturiert ist und Kunst als soziale und interaktive Veranstaltung versteht, der radikalen Kunst.

Ein Teil der von mir festgehaltenen Entwicklungen in Remscheid und im Bergischen Land ist noch zu sehen.

Sie zeigen, wie schnell der Wandel ist.

Aber das kann man immer nur rückblickend sehen, so daß Fotografie dabei eine dokumentierende soziale und historische Dimension hat.

Es ist ein Stück regionales Gedächtnis.

Woanders wird es als Spitzenleistung regional gefördert, hier wird es totgeschwiegen, weil es nicht in das Selbstbild paßt.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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